Donnerstag, 3. Januar 2008

GESELL - der Kredittheoretiker


Geld durch Diskontierung von Wechseln

Geld entsteht aus dem Kredit


Was GESELL unter ‘Kredit’ nun wirklich versteht, wird erst einigermaßen aus der konjunkturpolitischen Betrachtung aus dem Jahre 1909 ”Aktive Währungspolitik” deutlich, die er zusammen mit ERNST FRANKFURTH anstellt: ”Und es muss dies um so mehr hervorgehoben werden, als die Entwicklung des Scheck- und Wechselwesens vielfach die Meinung hat aufkommen lassen, das Geld spiele heute nur mehr eine untergeordnete Rolle. ...... Die Wechsel und Schecks haben zwar einen Teil des Bargeldes ersetzt, aber ist damit die volkswirtschaftliche Bedeutung des Geldes nicht noch gewachsen? Gründet ... das gesamte Kreditwesen sich nicht auf Bargeld, lauten nicht die Schuldscheine aller Art auf Geld, und stürzt nicht das ganze Gebäude an Wechseln, Pfandbriefen, Staatsschulden, Obligationen usw. in sich zusammen, wenn man ihm das Bargeld, seine Unterlage, entzieht? Das Kreditwesen hat also die Bedeutung des Geldes nicht vermindert, sondern im Gegenteil außerordentlich erweitert.” [1909 (1)]

Wechsel, Schecks, Schuldscheine, Staatsschulden, Obligationen: Das alles bildet also das gesamte Kreditwesen. Wir wollen dies vorerst einmal zur Kenntnis nehmen.

Das Denken von GESELL ist von den damals nicht nur in Deutschland aufgekommenen Emissionsbanken, die Kredite vergeben, geprägt. Und er steht ihnen kritisch gegenüber: ”Wäre nämlich hoher Zins Beweis eines Geldmangels und wäre es möglich, mit Hilfe einer Vermehrung des Geldumlaufes einem weiteren Steigen des Zinsfußes vorzubeugen, so müsste doch vermehrter Geldumlauf mit fallendem Zinsfuß und verminderter Geldumlauf mit einem steigenden Zinsfuß der Regel nach zusammenfallen. Das Gegenteil ist aber der Fall. ......... Als Law in Frankreich die Kaufleute mit Papiergeld zu sättigen versuchte, stieg der Zinsfuß, als die große Revolution den heute noch immer auftauchenden und unausrottbaren Wahngedanken zur Tat werden ließ und den ‘Grund und Boden’ in Assignatenform ‘ausmünzte’, stieg der Zinsfuß, ......

Und Umgekehrt. .........

Je mehr Geld die Emissionsbanken und Goldminen ausgeben, desto größer wird die Nachfrage nach käuflichen Dingen, desto größer wird auch die Differenz zwischen Einstandspreis und Erlös, desto mehr wecken sie die spekulative Kauflust, und desto mehr werden die Banken um Geld bestürmt werden. Man kauft für 100 mit der Aussicht, das Gekaufte vor Verfall des Wechsels über 100 zu verkaufen. Und da das Gewinnbedürfnis keine Grenzen kennt und die Vergrößerung der Umsätze nur den Gewinn vergrößern mag, sucht jeder seine Umsätze zu vermehren, bis er irgendwo an eine Grenze stößt, und das ist einfach die Grenze seines Kredites.

Die Emissionsbank kann also den Geldhunger nur reizen und wecken, niemals kann sie ihn stillen.”

Mit einem Kredit kommt also zusätzliches Geld in den Umlauf. Deshalb aber richtet sich GESELLs Kritik gegen diese Emissionsbanken, weil sie seiner Meinung damit zuviel Geld in den Umlauf bringen und damit die Aufrechterhaltung eines stabilen Preisniveaus stören: ”Das Geld soll die Schwierigkeiten umgehen, auf die Hinz und Kunz stoßen, wenn sie ihre Produkte gegenseitig austauschen wollen. Mehr nicht. Alle anderen Verwendungen des Geldes sind Anhängsel, Missbräuche, Schmarotzer, und müssten eigentlich unterdrückt (werden).......

Die glatte, ungestörte Abwicklung des Tausches verlangt von der Geldverwaltung, dass das Geldangebot regelmäßig, zu allen Zeiten und allen Umständen so bemessen sei, dass Hausse- und Baisseperioden vermieden werden. Das Geld soll währen, d.h. für eine Mark soll über Zeit und Ort hinweg an Waren soviel erhalten, wie er selbst an Waren dafür gegeben hat. Weder mehr noch weniger. Denn das ist der Sinn des Wortes ‘Währung’. Die Preise der Waren sollen, wenn nicht untereinander, so doch im Durchschnitt, dem Gelde gegenüber fest bleiben. Nur so kann sich der Handel gesund entwickeln, nur so können Absatzstörungen und Arbeitslosigkeit vermieden werden. [1909 (5)]

Verschiedene Textstellen zeigen, dass GESELL und FRANKFURTH Kenntnis von den merkantilistischen Geldexperimenten des JOHN LAW hatten. [1909 (4)] [1911 (1)] Wenn deshalb die beiden Autoren von ‘Kredit’ reden, dann haben sie dabei offensichtlich auch das merkantilistischen Experiment in Frankreich im Blick, das sich später dann als ‘Banking-Theorie’ weltweit durchsetzte[i]. Nämlich nicht das Verleihen von bereits vorhandenem Geld, sondern das Schöpfen von Kredit - und damit von Geld.

Gleichwohl sind nun auch in dieser Schrift GESELL und sein Mitautor ganz deutlich bemüht, die Tauschmittel-Hypothese des Geldes aufrecht zu erhalten: ”Aber bei dieser Auffassung wird vergessen, dass die Ware das primäre, das Tauschmittel das sekundäre ist. Am Anfang war die Arbeitsteilung, diese zeugte die Ware, die Ware aber zeugte den Bedarf an Geld, an Tauschmitteln.” [1909 (3)] Trotzdem aber verwerfen sie in ihren Vorschlägen dieses In-Umlauf-bringen von Geld über den Ankauf von Wechsel und Obligationen nicht grundsätzlich, sondern wenden sich nur gegen die vermeintliche Willkür der Emissionsbanken bei diesem Tun. Mit ihren Vorschläge zur Gestaltung einer ”aktive(n) Währungspolitik” kippen sie also die Tauschmittel-Theorie dann doch über Bord.

GESELL und FRANKFURTH beschreiben im Detail, wie sie das ‘Tauschmittel’ Geld in Umlauf bringen. Auch hier geschieht es durch den Ankauf von Wechseln und Obligationen, allerdings streng beschränkt auf das Geldamt:

Um Geld auszugeben und Geld einzuziehen, kann das Reichsgeldamt auf sehr verschiedenen Weisen verfahren.

1. Das Geldamt kauft bei beobachteter Baisse Wechsel und bezahlt die Wechsel mit neuen Banknoten. .... Steigen die Preise über den normalen Stand, so verfährt das Geldamt umgekehrt; indem es keine Wechsel mehr verkauft; die vorher gekauften bei Verfall einkassiert und das so eingehende Geld verbrennt......

Es kann aber vorkommen, dass nicht genügend Wechsel zum Diskont angeboten werden. ... In unruhigen Zeiten riskieren Bürger nicht gerne Kapital; sie ziehen sich möglichst vom Markte zurück und brauchen dann keinen Wechsel diskontieren. ... In solchen Fällen, die regelmäßig von einem scharfen Rückgang der Preise begleitet sind, würde es dem Geldamt unmöglich werden, die Wechsel in der nötigen Menge aufzutreiben, um den Preisrückgang aufzuhalten..... Darum lautet die zweite währungstechnische Forderung:

2. Das Reichsgeldamt wird befugt, für währungstechnische Zwecke Titel der Reichsanleihen in der Summe nach unbeschränkter und nur durch den Zweck begrenzter Menge auszugeben, und umgekehrt Titel der Reichsanleihen zu kaufen. [1909 (11)]

Geld kommt somit über Kredite an Private und den Staat, die durch Wechsel oder Staatsschuldscheine besichert werden, in Umlauf. Auch bei GESELL, der hier das einzige Mal in seinen ganzen Arbeiten, dieses ‘Wie in den Umlauf-Bringen’ konkret beschreibt. Auch und gerade in seinem Hauptwerk, der ‚Natürlichen Wirtschaftsordnung‘ ist hierüber nichts zu finden.

Die Tauschmittel-Vorstellung beherrscht aber auch in der ”aktiven Währungspolitik” GESELLs Gedankenwelt sehr rasch wieder. Ihr entspringt der 3. Vorschlag zur Regulierung der Geldmenge:

3. Das Reichsgeldamt ist berechtigt, durch Steuerzuschläge und Steuererlass die für die Aufrechterhaltung der Währung nötigen Geldmassen einzuziehen oder auszugeben” [1909 (11]

Wenn nämlich die Hinterlegung von Forderungen, also von Vermögenstiteln, die Voraussetzung für das In-Umlauf-Bringen von Geld nach Punkt 1 und 2 ist, dann widerspricht dem Punkt 3. Während in den Bilanzen der Emissionsbanken dem ausgegebenen Bargeld auf der Passivseite in den beiden ersten Fällen dann Forderungen – also Vermögenswerte - auf der Aktivseite gegenüberstehen, gibt es solches bei Punkt 3 nicht. Dort wird ja ganz locker Geld einfach ausgegeben oder eingezogen.

Nach den Vorschlägen 1 und 2 kommt Geld somit nicht als Tauschmittel auf die Welt. Es wird danach höchsten Geld gegen eine Forderung auf Geld, eine Verschuldung in Geld, getauscht. Damit aber ist Geld gerade nicht Tauschmittel, sondern Tauschgegenstand.

Konjunkturpolitische Betrachtungen in der NWO

Erst nach den Einsichten, die GESELL in der ‚Aktiven Währungspolitik‘ bietet, werden jene Ausführungen verständlicher, die er später in der ‚Natürlichen Wirtschaftsordnung‘ macht und damit eine neue Theorie begründet, aber selbst nicht wahrnimmt. Oder nicht akzeptiert.

Wie er dort immer wieder betont, ist der Wechsel Konkurrent des Geldes und damit gleichfalls Zahlungsmittel. Die Umwandlung in Geld durch Rediskontierung von Wechseln –also durch einen Kredit - wird deshalb nur dann notwendig, wenn der Wechsel selbst nicht mehr als Zahlungsmittel anwendbar ist. Etwa wegen seiner Stückelbarkeit und Akzeptanz bei Lohnzahlungen. Jedenfalls aber muss vor dem Kredit schon der Wechsel hervorgebracht werden, muss schon etwas da sein, das belehnbar ist.

Und es sind die Unternehmen untereinander, die den Wechsel hervorbringen können. Damit aber zeigt sich, dass die Nachfrage nicht von außen durch die Emissionsbank gesteuert werden kann, sondern dass die Nachfrage autonom ist und wesentlich von den Zukunftserwartungen abhängt: ”Es genügt dazu, dass nach allgemeiner Ansicht die Preise fallen werden, um die Nachfrage stutzig zu machen - und um dadurch das, was man erwartet oder befürchtet, wirklich eintreten zu lassen.... Die Kreditverkäufe nehmen ab, wenn die Preise fallen, wenn der Verkaufspreis unter dem Einkaufspreis steht .... Die Sicherheit des Kaufmanns steigt und fällt mit den Preisen seiner Waren, und darum steigen und fallen auch die Kreditverkäufe mit dem Steigen und Fallen der Warenpreise.

So bekannt die Sache ist, so wenig Absonderliches hat man darin gefunden......” [1911 (7)]

Die Nachfrage wird heute stutzig, geht also zurück, wenn morgen fallende Preise erwartet werden. So GESELL.

Wiewohl er also erkennt, dass die Nachfrage sich in einem selbstreflektiven Auf und Ab bewegt, scheint sich GESELL dennoch nicht der vollen Tragweite bewusst zu sein. Dass nämlich die gegenwärtige Nachfrage so sehr von den zukünftigen Erwartungen beeinflusst wird. Denn einen Wechsel stellt ja niemand aus, um damit Tauschmittel zu schaffen, sondern weil er eine Investition, etwa auch eine Lagerinvestition, tätigen will. Das Tauschen von Geld gegen ein Investitionsgut ist ja nur die Oberflächenerscheinung, hinter der sich jedoch ein Verschuldungsvorgang verbirgt. Ob die Schulden allerdings getilgt werden können, liegt in der ungewissen Zukunft. Und eben davon hängt ab, ob investiert wird und ein Wechsel überhaupt ausgestellt wird, der dann fallweise gegen Geld diskontiert werden kann. Es kann aber vorkommen, dass nicht genügend Wechsel zum Diskont angeboten werden. ... In unruhigen Zeiten riskieren Bürger nicht gerne Kapital; sie ziehen sich möglichst vom Markte zurück und brauchen dann keinen Wechsel diskontieren.” [1909 (11)] erkennt GESELL selbst.

Und erst mit obiger Voraussetzung wird die volle Bedeutung dessen klar, wenn er meint: Welcher Kaufmann, Spekulant, Unternehmer wird zum sich Bankier und zur Sparkasse begeben, dort einen Wechsel diskontieren, sich zur Zahlung von Zins verpflichten, wenn er befürchtet, dass das, was er zu kaufen gedenkt, im Preise sinkt, so dass er nicht einmal die Auslagen wiederzuerhalten hoffen kann.” [1916 (6)]

Geld entsteht also erst durch die Rediskontierung von Wechseln. Und es verschwindet wieder durch deren Einlösung durch den Verpflichteten. Damit zeigt GESELL aber auch, dass unter diesen Umständen eine Umlaufsicherung des vorhandenen Geldes allein nicht zur Aufrechterhaltung der Konjunktur genügt, da das in Umlauf gebrachte Geld keine Konstante ist. Von der Emissionsbank gegen Geld angekaufte Wechsel werden ja am Ende ihrer Laufzeit nicht zwingend durch neue ersetzt. Dann aber wird dieses Geld nicht gehortet, sondern fließt zur Emissionsbank zurück, wo es vernichtet wird - ‘verbrannt’, wie GESELL sagt. ”In Nordamerika geschieht die Notenausgabe so: Die Banken deponieren Titel der Staatsschulden im Schatzamt und können nun bis zu 90% des Betrages dieser Titel Noten ausgeben. ....Bei einer Krise ..... finden die Unternehmer keine Gelegenheit, das Geld nutzbringend anzulegen und bringen es zur Bank zurück. Diese löst damit die deponierten Titel ein, um wenigstens den Zins dieser Titel zu genießen. So geschieht es, dass gerade bei einer Krise, wenn der Geldumlauf so nötig wäre, der Markt vom Gelde entblößt wird. ” [1909 (9)]

Was hier am Beispiel der Staatsschulden dargestellt wird, gilt natürlich auch für Privatschulden, für Wechsel. Keine Geschäftsbank zahlt Zinsen für einen Wechselkredit der Notenbank, wenn sie übermäßige Barreserven in der Kasse liegen hat. Und kein Unternehmer hortet Bargeld, solange er einen verzinslichen Wechselkredit zu bedienen hat. Der Wechsel wird zurückgekauft und damit die Zinszahlung erspart. Unternehmer und Banken werden daher kaum Geld horten, das aus Krediten kommt, für die sie Zinsen zahlen müssen. Wenn solches geschieht, dann allein bei den Lohnempfängern, die ihr Geldeinkommen zinsfrei erhalten. Die Zinsen hierfür zahlt ja der Unternehmer bzw. der Staat.

Damit Geld somit vorhanden ist, braucht es Verschuldung. Schulden aber bedingen eine Verknüpfung der Gegenwart mit der Zukunft. Das aber bringt den großen Unsicherheitsfaktor hervor. Dieser Zusammenhang scheint aber GESELL aufgrund seiner Fixierung auf den Tausch, der vollkommen zeitgleich, also alles in der Gegenwart stattfindet und daher zeitlos ist, verborgen zu bleiben. Wiewohl er diese Unsicherheit irgendwie schon erahnt und deshalb für sein Geldamt die Möglichkeit fordert, Reichsanleihen für den Fall, dass nicht genügend Wechsel angeboten werden, kaufen zu können,.

Die Emissionsbank, der Wechsel, der Kredit und das Geld

Indem die Emissionsbank einen Wechsel aufkauft, wird Geld auf dem Kreditweg in Umlauf gebracht. Sie kauft eine Forderung gegen ein Unternehmen auf, die auf Geld lautet - also einen Vermögenswert - und ersetzt ihn durch eine Forderung gegen sich selbst. So schöpft sie Geld, indem sie eine Forderung gegen eine allgemein akzeptierte, d.h. wesentlich glaubwürdigere Forderung ersetzt. Sie vergibt somit Glaubwürdigkeit – Kredit.

Das aber heißt, dass der Kredit nicht auf Geld, sondern Geld auf dem Kredit gründet. Erst durch den Kredit bekommt es Glaubwürdigkeit. Wiewohl GESELL es so nicht sehen will, wenn er sagt: ”Gründet der Wechsel, der Scheck, das gesamte Kreditwesen, sich nicht auf Bargeld, lauten nicht die Schuldscheine aller Art auf Geld, und stürzt nicht das ganze Gebäude an Wechseln, Pfandbriefen, Staatsschulden, Obligationen usw. in sich zusammen, wenn man ihm das Bargeld, seine Unterlage, entzieht?”, den Kredit also auf dem Geld gründet, so meint er doch am Schluss: ”Das Kreditwesen hat also die Bedeutung des Geldes nicht vermindert, sondern im Gegenteil außerordentlich erweitert.” [1909 (1)]

Der Kredit erweitert die Bedeutung des Geldwesens. Denn der Kredit ist etwas ganz anderes als ein Darlehen, wo ‚nur‘ bereits vorhandenes Geld verliehen wird. GESELL bestreitet nicht, dass es diesen gibt. Aber er erregt seine Kritik. Sein vehementer Angriff auf die Emissionsbanken und deren willkürliche Kreditvergabe gründet auf der Befürchtung, dass diese damit willkürlich Geld hervorbringen oder einziehen. Damit stören sie die Erhaltung von stabilen Preisen bzw. eines stabilen Preisniveaus, sind also für das Auf und Ab der Konjunktur verantwortlich: ”Denn wächst auch das Angebot an Darlehen[ii] über das gewöhnliche Maß, etwa durch die Emission der Notenbank...., so steigen sofort die Warenpreise, und das erhöhte Preisniveau verschlingt das ganze Mehr der Darlehen.” [1904 (6)]

Darum will er die Kreditvergabe und damit die Geldkontrolle allein dem Geldamt zusprechen. Dieses hätte dann dafür zu sorgen, dass das Preisniveau stabil bleibt. Dabei denkt er vollkommen zeitlos: Geld ist nur Tauschmittel, das (jetzt) im richtigen Verhältnis zur Warenmenge vorhanden sein muss, damit das Preisniveau (jetzt) gleich hoch bleibt wie ehedem. Ansonst hat es keinen Einfluss. Vor allem keinen auf die zukünftige Entwicklung. Dieses ”Tauschgeschäft lässt nichts zurück, das Geschäft ist restlos erledigt.” [1916 (23)]

Wiederum kommt hier die Tauschhypothese GESELL in die Quere. Er schreibt zwar immer wieder von den Geldvorschüssen, welche die Unternehmer zu leisten hätten, dennoch berücksichtigt er nicht, dass die Waren zuerst produziert werden müssen, ehe sie getauscht werden können. Und so sieht er auch nicht, dass mit dem Ankauf eines Wechsels nicht einfach willkürlich Geld zum Tauschen in Umlauf kommt. Mit der Wechseldiskontierung wird ja eine Rückzahlungsverpflichtung eingegangen. ”Das Darlehensgeschäft[iii] hinterlässt Gläubiger und Schuldner ”[1916 (23)] Ein diskontierter Wechsel kann aber nur dann in Zukunft wieder eingelöst werden, wenn der dafür gewährte Kredit produktiv eingesetzt, also investiert wird.

Investieren aber heißt, die vorhandene Produktion zu erweitern, heißt noch nicht genutzte Ressourcen in die Produktion miteinzubeziehen. Wenn die Kredite solcherart verwendet werden und so auch die Menschen auf das bereits vorhandene Produkt zugreifen können, die bislang noch nicht in den Erwerbsprozess eingegliedert sind und noch kein Geldeinkommen beziehen, dann wird ja auch in weiterer Folge das Produkt wachsen.

Damit aber steht der Kredit für eine Ausdehnung der Erwerbswirtschaft – und gerade nicht für eine stationäre Versorgungswirtschaft. Der Kredit bringt eine außergewöhnliche Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung hinein, die zum Wachstum der (Erwerbs-)Wirtschaft führt. Der Kredit erleichtert oder ermöglicht erst (Netto-) Investitionen. Und er stimuliert zu solchen, weil er über ein steigendes volkswirtschaftliches Gesamteinkommen die Gewinnsituation der Unternehmen gerade zu jenem Zeitpunkt verbessert, wo sie investieren müssen.

Diese Dynamik jedoch schreibt nicht das bereits Bekannte fort, sondern führt meist ins Unbekannte - und damit ins Risiko. Dieses aber wirkt immer wieder auf die Gegenwart zurück und dämpft gegebenenfalls die Investitionslust – und damit auch die gesamtvolkswirtschaftliche Gewinnsituation.

Die zukünftigen Erwartungen und die Geldmenge

Die gegenwärtige Nachfrage hängt somit von den Erwartungen über die Nachfrage in der Zukunft ab. Denn diese bestimmt die Höhe der Kredite für Investitionen in der Gegenwart - und damit die umlaufende Geldmenge. Die Nachfrage in der Zukunft hängt aber wiederum ab von den Erwartungen über die Nachfrage in der Nachzukunft. Und da Investieren immer ein Disponieren mit bereits vorhandenem Vermögen bedeutet, wird eine Investition immer nur dann erfolgen, wenn sie nicht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vermögensmindernd ist. Sie muss also gewinnversprechend, d.h. vermögensmehrend sein. Nur dann werden Wechsel ausgestellt und können diese kreditiert werden.

Diese Vermögensvermehrung aber bedingt, dass die Verkaufspreise immer wieder über den Einkaufspreisen – den Kosten – liegen, wie GESELL selbst betont. Dies aber nicht nur deshalb, weil für Kredite Zinsen zu zahlen sind. Neben den Zinsen sind ja in Zukunft auch die Schulden auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen. Um bei einer ungewissen Zukunft dies aber tun zu können, muss der vorsichtige Kaufmann von vorneherein eine Sicherheitsreserve einkalkulieren. Gesamtvolkswirtschaftlich muss somit der Saldo aus den Verkaufspreisen minus den Einkaufspreisen ausreichend positiv sein, um für möglichst viele Unternehmen eine optimistische Stimmung in der Gegenwart zu erzeugen, aus der heraus sie die Zukunftsaussichten antizipieren.

Die angestrebte Vermögensvermehrung ist somit nicht nur eine Frage der Gewinnsucht, sondern auch eine der Sicherheit. Die zukünftigen Erwartungen müssen asymmetrisch zu Gunsten eines Überschusses ausfallen.

Das aber setzt voraus, dass die Gesamtnachfrage der Zukunft stets höher ist als die Gesamtnachfrage der Gegenwart. Dass dies möglich ist, bestätigt GESELL, wenn er davon spricht, dass das Geld Konkurrenten hat, die autonom von der Wirtschaft hervorgebracht werden. Was er allerdings als Konkurrenten sieht, also Wechsel, Schuldscheine usw. sind nicht solche, sondern die Fundamente des Geldes, die über den Geld-Überbau hinausreichen - und zwar unterschiedlich weit hinausreichen, je nach konjunkturellen Erwartung. So schafft sich gewissermaßen die Wirtschaft selbst ihre monetäre Nachfrage. GESELL hat das früher erspürt als so manche andere, denen noch heute dieser Spürsinn fehlt.

”Und ist schon der Profit selbstverständliche Voraussetzung der Nachfrage, so ist der Fall erst recht ausgeschlossen, dass sich die Nachfrage auf dem Markte einstellt, wenn ihr dort direkte Verluste drohen. Das Angebot stellt sich ein ohne Rücksicht auf Gewinn oder Verlust; die Nachfrage zieht sich bei schlechten Aussichten zurück in ihre Festung, das ist die Unverwüstlichkeit, und wartet dort die Zeit ab, wo die Verhältnisse für einen Ausfall günstiger sind.” [1911 (6)]

Zu ergänzen ist hier lediglich, dass die Nachfrage zu jeder Zeit von der Höhe der Investitionen abhängt, wenngleich nicht unbedingt dieser entspricht. Die Nachfrage kann aber langfristig nicht größer sein als die Gesamtinvestition, bestehend aus Ersatz- plus Nettoinvestition. So sollte es darum genauer heißen: Und ist schon der Profit selbstverständliche Voraussetzung der Investition, so ist der Fall erst recht ausgeschlossen, dass sich die Investition auf dem Markte einstellt, wenn ihr dort direkte Verluste drohen. Das Angebot stellt sich ein ohne Rücksicht auf Gewinn oder Verlust; die Investition und damit die Nachfrage zieht sich bei schlechten Aussichten zurück in ihre Festung .... und wartet dort die Zeit ab, wo die Verhältnisse für einen Ausfall günstiger sind.

Wenn nun aber die Gesamtinvestition immer wieder aus Ersatz- plus Nettoinvestition besteht, dann muss die Gesamtinvestition von mal zu mal höher werden. Denn die Ersatzinvestition der Periode n muss der Ersatz- plus Nettoinvestition der Periode (n-1) entsprechen.

Nun können aber die erhöhten Gesamtinvestitionen bei konstanten oder gar sinkenden Stückpreisen nur bei einer Steigerung der verkauften Stückzahl hereingebracht werden. Sollen solche Stückpreise durch den Wettbewerb erzielt werden, dann ist für einen möglichst produktiven Einsatz der Investitionskredite zu sorgen.

Die von GESELL eingeforderte Steuerung der Geldmenge durch die Emissionsbank hat deshalb mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft zu erfolgen. Es genügt nicht, die Geldmenge mit Blick auf das gegenwärtige Preisniveau zu begrenzen. Es muss auch darauf Bedacht genommen werden, wofür die Kredite eingesetzt werden. Die Steuerung der Kredite über die Kreditzinsen ist somit eines der Instrumente der Emissionsbank, die Geldmenge und damit die Inflation zu kontrollieren, ebenso wie deren produktivsten Einsatz.

Die Problematik besteht nun nicht darin, dass diese Zinsen gewissermaßen als Steuerungsabgabe überhaupt zu zahlen sind. Sie besteht vielmehr darin, dass sie nicht nur der staatlichen Emissionsbank zufließen, die sie wieder an den Staat abführt, sondern auch den Privaten.



[i] Siehe dazu Hans Ch. Binswanger, Geld & Natur, Weitbrecht, Seite 163ff

[ii] Hier verwendet GESELL wieder das Wort ‚Darlehen‘ statt ‚Kredit‘

[iii] Wie Anm. 2

1 Kommentar:

Freiwirtschaftler hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Dorfner,

Eine direkte Geldmengensteuerung von konstruktiv umlaufgesichertem Geld ist keineswegs komplizierter, als Gesell sie geschildert hat.

Statt etwas zu "kritisieren", was keiner Kritik bedarf, sollten Sie sich zuerst aus Ihrer religiösen Verblendung befreien, um verstehen zu können, welcher kollektive Wahnsinn die halbwegs zivilisierte Menschheit bis heute davon abhielt, die ideale Makroökonomie zu verwirklichen:

http://www.deweles.de/files/apokalypse.pdf