Donnerstag, 3. Januar 2008

GESELL - der Kaufmann


Die Auflösung der Widersprüche der Tauschtheorie
Das Unternehmen und der Geldvorschuss

Vom Geldvorschuss spricht GESELL bereits 1904.

Dass mit dem Geldvorschuss Schulden gemacht werden, Schulden in Geld, liest man erstmals 1909 in der ‘Aktiven Währungspolitik’, jener Arbeit, die wohl den Höhepunkt der Abwendung von seiner Grundthese darstellt: ”Es ist die Regel, dass fast alle Unternehmer, ähnlich wie die Kaufleute, mit fremden Geld arbeiten. Sie stecken fast alle bis tief in den Hals in Wechselschulden, Obligationsschulden, Hypothekenschulden usw. - und alle diese Schulden sind Geldschulden[1909 ( 8)]

Mit dieser Verschuldung in Geld kommt dabei nun auch die rechnerische, zählende ‘Genauigkeit’ auf die Welt, wie GESELL beschreibt: ”Hat der Unternehmer für Zins und Tilgung jährlich 10.000 Mk. zu zahlen, so bleibt die Summe gleich, wenn durch Rückgang der Preise der Erlös der Produkte von 100.000 etwa auf 80.000 zurückgeht. Die Gläubiger kümmern sich da nicht um die Warenpreise, sie verlangen ihr Geld zurück auf Heller und Pfennig, den vollen nominellen Betrag.” [1909 (8)]

Geld - und nicht die Ware - ist somit das Primäre, wie GESELL früher schon feststellt: ”Im Anfang war das Geld, und das Geld wurde zu einer Fabrik, und die Fabrik war das Geld.” [1904 (5)]

In der Arbeit aus 1904 spricht GESELL aber nicht nur vom Vorschuss, sondern erstmalig auch vom Unternehmer. ”Das industrielle Kapital, welches der Arbeiter in der Fabrik besetzt, kann man als einen Geldvorschuss des Unternehmers betrachten, der in der Maschinenanlage ein Pfand dieses Vorschusses behält . Am besten geht das aus dem ersten Blatte des Hauptbuches jedes Unternehmens hervor, dort ist das Gründungskapital mit einer Summe Geldes angegeben.”. [1904 (5)]

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Bislang gibt es nur die Haushalte, die gleichzeitig Produzenten und Konsumenten sind. Und diese Haushalte haben alle Voraussetzungen, um Waren produzieren zu können. Sie haben direkten Zugang zu allen für die Produktion notwendige Ressourcen. Tatsächlich aber produzieren die Unternehmer, oder richtiger, die Unternehmen. Diese Unternehmen aber müssen einen Geldvorschuss machen, um auch die Arbeit, welche die Haushalte zu Verfügung stellen, kaufen zu können. Mit dem Geldlohn aber können die Haushalte schon vor Fertigstellung der Erzeugnisse auf bereits fertige Waren zugreifen.

Der Geldvorschuss, der mit der Zeit zu tun hat, bringt eine ganz neue, ganz eigene Wirtschaft und Gesellschaft: hervor: die Erwerbsgesellschaft und die Erwerbswirtschaft. Die Lohnarbeit aber ist so durch die Abhängigkeit der Arbeit von den Lohnvorschüssen der Unternehmer gekennzeichnet – womit eine eigenartige Verbindung zwischen der Gegenwart und der Zukunft, der Vergangenheit und Gegenwart entsteht. Mit den Geldvorschüssen, welche die Unternehmer heute tätigen, um Nachfrage nach Investitionsprodukten und Arbeit – und damit auch nach Konsumprodukten – zu halten, bringen sie ja nicht das heutige, sondern erst das zukünftige Angebot hervor, also das von Morgen. Die Fertigung von Produkten benötigt ja immer Zeit. Andererseits bewirken sie mit diesen Geldvorschüssen die heutige Nachfrage nach den bereits fertigen Investitions- und vor allem Konsumprodukten, die gestern gefertigt wurden. Eine heute gegebenenfalls erhöhte Nachfrage stößt damit aber auf ein Angebot, insbesondere das von Konsumwaren, das schon vorhanden ist, wofür bereits in der Vergangenheit, also gestern, die Entscheidung getroffen wurde. Die höhere Nachfrage stößt also auf ein Angebot, das nicht mehr veränderbar ist.

Heute kann nur die Nachfrage von heute – nicht aber das Angebot von heute –

durch die Höhe der von den Unternehmern heute getätigten Geldvorschüsse beeinflusst werden. Damit beeinflussen sie jedoch das Angebot von morgen.

Somit können die Produkte, die heute am Markt sind, dann zu Preisen verkauft werden, die höher als sind als ihre Kosten, wenn die Unternehmer in Summe heute höhere Geldvorschüsse tätigen, als sie gestern zur Fertigung der Waren eingesetzt haben.

Dieser so selbstverständliche Zusammenhang wird aber auch noch heute kaum beachtet. Und zu seiner Zeit hat ihn auch GESELL nicht genügend beachtet, wiewohl ihm seine kaufmännischen Erfahrung einen wichtigen Zusammenhang sehen lässt: ”Die Waren, die im Tauschhandel oder auf Kreditwegen den Konsumenten erreichen, sind für die Nachfrage nach Geld verloren. Die Preise steigen also, wenn die Kreditverkäufe zunehmen, denn die gegen Geld angebotenen Warenmassen nehmen um den Betrag dieser Kreditverkäufe ab, und Nachfrage und Angebot bestimmen die Preise, d.h. das Verhältnis in dem Geld und Waren ausgetauscht werden.” [1911 (7)]

Und er schließt: ”Braucht man noch weiter nach einer Erklärung der Wirtschaftskrisen zu suchen?”

GESELL spricht hier von Kreditkäufen so, als ob es sich bei den Krediten allein um Konsumkredite handeln würde. Und um pure Gelddruckerei. Damit wird auch verständlich, dass er eine inflatorische Preissteigerung befürchtet und diese auch zu verhindern trachtet. ”Denn wächst auch das Angebot an Darlehen über das gewöhnliche Maß, etwa durch die Emission der Notenbank,......, so steigen sofort die Warenpreise, und das erhöhte Preisniveau verschlingt das ganze Mehr der Darlehen.” [1904 (6)] Oder an anderer Stelle: ”Wie aber ist man dazu gekommen, die Emissionsbanken, die vielfach mit Privatkapital gegründet wurden, zu ermächtigen, Freud und Leid willkürlich zu verteilen? Mit ihren Noten greift die Emissionsbank in die Taschen der Gläubiger und gibt, was sie findet, den Schuldnern.”[1909 (6)] Das jedoch ist bei Inflation der Fall.

Verkaufspreise über den Einkaufspreisen zur Bezahlung der Zinsen

Eine erkenntnisreichere Auslegung muss aber darauf Bezug nehmen, dass GESELL an anderer Stelle eben nicht von steigenden Preisen spricht – also von steigenden Einkaufs- bzw. Verkaufspreisen, sondern davon, dass die Verkaufspreise über den Einkaufspreisen liegen, d.h., -höher sein müssen als die Einkaufspreise, um den Zinstribut überhaupt zahlen zu können. So hält er fest: ”Die Ware wird mit Geld gekauft und, mit Urzins belastet, an den Konsumenten gegen Geld wieder verkauft. Hiernach müsste der Konsument regelmäßig mehr Geld ausgeben als er als Produzent einnimmt.” [1911(21)]

GESELL bemüht sich, auf diese Frage auch die Antwort zu finden. So schreibt er: Dieses Mehr, aus dem Urzins bestehend, verschafft sich der Produzent dadurch, dass er mehr Waren produziert und verkauft, als er kauft. Das Mehr, das so die Produzenten erzeugen, wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf gekauft, und zwar gerade mit dem Geld, das sie als Zins erheben.[1911(21)] [i]

Eine so erhöhte Nachfrage ermöglicht folglich erhöhte Preise. Wenn dabei aber eine bestimmte überschüssige Geldmenge immer wieder nur rezikliert, aber nicht ständig erhöht wird, schließt das eine inflationäre Entwicklung aus.

Dieses Argument gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, wie die Geldvermehrung stattfindet und eine dynamische Wirtschaft ermöglicht. Es wird nur gezeigt, dass die Geldbesitzer in einer stationären Wirtschaft mit zusätzlichem, aber offensichtlich schon vorhandenem Geld auf das erzeugte Produkt zugreifen und damit durch eine höhere Nachfrage in Geld die Preise hochtreiben. So aber können die Arbeitenden mit ihren Geld-Einkommen nicht mehr ihr volles Produkt erwerben, da die Summe der Preise nun höher ist als die Summe ihrer Einkommen. Es wird ihnen damit also das ‘Recht auf den vollen Arbeitsertrag’ entzogen. Jedoch nicht erklärt werden kann damit das Wachstum der Geldvermögen, die Akkumulation von Geld – und das Wachstum der Wirtschaft. Was in Form der Zinsen wieder an die Geldbesitzer zurückfließt, sind ihre eigenen Ausgaben.

So müssen wir hier eine weitere Unstimmigkeit in gesellst Argumentation feststellen: Plötzlich haben die Geldbesitzer zusätzliches Geld. Geld, das sie vorerst nicht für den Ankauf von Waren verwenden, um den Druck auf das Angebot ausüben und den Tribut erzwingen zu können. Geld, das sie aber dann dafür verwenden, um einen Teil der Waren für ihren Eigenkonsum erwerben zu können.

Solches Tun setzt aber entweder eine gemeinsame, streng eingehaltene Übereinkunft der Geldbesitzer voraus, zuerst immer wieder einen bestimmten Teil ihres Geldbesitzes in Kasse zu halten, um später dann immer wieder gemeinsam ihren Luxuskonsum nachzukommen. Und auch die sachliche Unmöglichkeit der Konkurrenz unter den Geldverleihern. GESELL geht von letzterer aus. Und so postuliert er: ”Es gibt unter den Geldverleiher keine Konkurrenz; sie ist sachlich unmöglich. Stammt das Geld, das die Kapitalisten zu verleihen haben, aus dem Verkehr, so stopfen sie mit der weiteren Verleihung nur die Löcher zu, die sie beim Inkasso des Geldes gegraben haben. .... je mehr Geld angeboten wird, umso größer sind die Löcher.” [1911 (15)]

Dieses Zitat findet sich im Rahmen der GESELLschen Begründung des Urzinses, der nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. GESELL sagt ja ganz deutlich: ”Der Urzins war kein Darlehenszins; der Tausch des Geldes gegen Ware und der hierbei erhobene Tribut hatte absolut nichts gemein mit einem Darlehen. Der Urzins wurde darum auch nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Der Produzent gab im Tausch für das Geld seine Ware her. Es war ein Tauschgeschäft, und der Urzins wurde dabei erhoben, weil der Geldinhaber den Tausch gestatten und untersagen konnte.....” [1916 (23)]

Das Argument hat also mit Darlehen gar nichts zu tun. Es dient nur zur Aufrechterhaltung von GESELLs Grundthese von der Überlegenheit des Geldes gegenüber den Waren, ”die ständig auf den Markt drängen”. Dazu aber muss Geld an sich knapp sein. Denn durch zusätzliches Geld würden die Preise der Waren bereits beim Einkauf hinaufgetrieben. Um dagegen den Tribut kassieren zu können, muss der Kaufmann die Waren vom Produzenten unter ihrem Wert gegen Geld einkaufen, um sie später dann mit dem Tributaufschlag verkaufen zu können.

Der Kredit als Konkurrent des Geldes

”Das Mehr, das so die Produzenten erzeugen, wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf gekauft, und zwar gerade mit dem Geld, das sie als Zins erheben.” [1911(21)]

In Zusammenhang mit der Tausch-Hypothese erscheint dieser Satz – wie oben gezeigt - unstimmig. Geht man jedoch von der Hypothese aus, dass Unternehmer Geldvorschüsse tätigen, erscheint er in neuem Licht. Wir haben dort schon festgehalten, dass die Produkte, die heute am Markt sind, dann zu Preisen verkauft werden können, die höher als sind als ihre Kosten, wenn die Unternehmer in Summe heute höhere Geldvorschüsse tätigen, als sie gestern zur Fertigung der Waren eingesetzt haben.

So stellt sich hier die Frage, ob sie das auch können. Können sie überhaupt mehr Geld ausgeben, als sie alle zusammen derzeit haben?

Nun weist GESELL immer wieder auf den Kredit hin, wobei dieser bei ihm ein Tauschmittel zusätzlich zu Geld ist, ein Tauschmittel, das in Konkurrenz zum Geld steht.

Zu klären ist somit, was er unter ‘Kredit’ versteht?

GESELL erwähnt 1897 den Kredit mit folgendem Beispiel: ”Eine dieser Einrichtungen, welche es gestatten, die Waaren ohne Benutzung des Geldes an den Mann zu bringen, bilden die Creditgeschäfte. A in Königsberg sendet eine Ladung Butter an B in Köln und dieser bezahlt die Rechnung mit einer Ladung Wein. Kein Pfennig ist zu dieser Operation nöthig gewesen und der Bedarf an Geld hat in der Folge dieser Operation um die Ladung Butter und Wein abgenommen.

Dieser Einfluss der Creditgeschäfte bleibt auch derselbe, wenn die Ladung Butter und Wein in Geld umgerechnet, und dieses Geld durch Wechsel, Checks etc. vertreten wird.” [1897 (4)]

Während er hier dann weiter den Tauschhandel und den Wechsel sowie die Stundung als Konkurrenten des Geldes nennt, taucht dann in der Arbeit aus 1911 der Kredit wiederum als solcher auf: ”Der gewaltige Einfluß, den die Kreditgeschäfte auf die Nachfrage nach Geld ausüben, zwingt uns, diese hier schon etwas näher zu betrachten. ....” [1911(3)] Und auch obiges Beispiel findet sich hier - so wie auch später immer wieder mit etwas geänderter Wortwahl: ”Wenn A in Königsberg an B in Aachen ........ Hätte B keinen Kredit bei A oder A keinen Kredit bei B, so würde die Butter nur gegen Aushändigung von Bar-Geld ausgeliefert werden. [1911 (3)] Aber er kommt dort nicht auf den Kredit zu sprechen, wo er von den Konkurrenten des Geldes spricht: ”Die einzigen Wettbewerber des Geldes sind die ... drei Faktoren: die Urproduktion, der Tauschhandel und der Wechsel .....” [1911 (16)] Lediglich in einer dort dargestellten Skizze wird der Kredit neben dem Wechsel erwähnt.

Jedenfalls scheint GESELL, wie aus [1911 (5)] (”Die Preise steigen also, wenn die Kreditverkäufe zunehmen.....”) hervorgeht, unter Kredit – so wie unter einem Wechsel - etwas zu verstehen, das zusätzlich zum Geld Nachfrage halten kann.

Und zum Thema ‘Wechsel’ heißt es: ”Bei der Geldverleihung wird nur der Besitzer des Geldes gewechselt, ohne dass dadurch irgend etwas am Geld geändert wird..... Beim Wechsel .... dagegen findet kein solcher wesenloser Personenwechsel statt, sondern es wird dem Geld eine wirksame Konkurrenz dadurch eröffnet, dass den Waren andere Wege für den Austausch geöffnet werden.” [1911(17)]

GESELL scheint demnach zwischen ‘Darlehen’ und ‘Kredit’ irgendwie – und wieder auch nicht, wie sich noch zeigen wird - zu unterscheiden. Bei einem Darlehen wird bereits vorhandenes Geld verliehen, während der Kredit ein Konkurrent des Geldes ist.


[I] Karl Marx, Das Kapital II, Dietz 1953, S. 330 ff )

„Die Frage ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern: Wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd St. Wie kann nun die die ganze Kapitalistenklasse beständig 600 Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ (S. 330/331)

Marxens Antwort

„In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.“ (S. 335)

begründet aber nur das, was er ‘einfache Reproduktion’ nennt, nicht aber die ‘Akkumulation’ oder ‘erweiterte Reproduktion’.

[ii] Siehe dazu Hans Ch. Binswanger, Geld & Natur, Weitbrecht, Seite 163ff

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